Einleitung
Ich lernte erstmals Vater Ghelasie Gheorghe durch ein Buch kennen, das mir an einem Wendepunkt meiner Existenz in die Hände fiel. Ich meine ”Die hesychastische Heilkunde ”. In diesem Buch, unter Ideen und Prinzipien, die ich einigermaßen an meiner Begriffswelt - die mit der nach der Wende erschienenen, aus teologischem Gesichspunkt sehr zweifelhaften ”geistigen” Litteratur ernährt wurde - festmachen konnte, erahnte ich ein Wort, das, fühlte ich, kam mir mit der Frische der reinen Bergluft entgegen. Ich fühlte innerlich die Kraft, die mich Dem gegenüber aufschloss, Der der Mittelpunkt meiner Existenz werden sollte: Christus.
Später entdeckte ich den Vater von Angesicht zu Angesicht als einen Menschen, der auf das Leben selbst setzte. Ich ließ mich instinktiv vom Strom des theologischen ”savoir-vivre” tragen, den der Vater schon angefangen mit seinen geistlichen Schülern pflegte. Seine schriftstellerische Aktivität war nichts anders als eine ”Verlängerung” seiner Person, die seinen geistlichen Söhnen, entgegenkam - uns, welche die von ihm im himmlischen Wind gesäten Samen um ihn sammelten, um ”Erklärungen” zu erhalten. Ich wurde somit unmerklich in die Atmosphäre eingeführt, die ihn umgab, diesen Menschen, der in Christus mit Schlichtheit, aber auch mit soviel Überzeugung lebte, dass er unsere Zweifel und Verzagtheit ruhig durch seine monolithische Sicherheit beantworten konnte, die Sicherheit eines Menschen, der sich innerlich durch das Leben in Gott strukturiert. Für Vater Ghelasie war die erste Bewegung die ”des Seins.” Wissen und Worte kamen später, als Auswirkungen seiner Lebensweise. Eines geistlichen Vaters Ausstrahlung und Licht rühren von seiner Überzeungungskraft her, die ein Maß der Tatsache ist, dass er lebt was er spricht. Der Vater lebte, und lebend sprach und schrieb er. Mir kam es vor, dass er soviel wusste und vor allem so vieles ergründet hatte, dass ich den Eindruck bekam, vor einem Berg zu sein, dessen Höhen ich mich vielleicht nie zu nähern fähig sein würde. Deshalb bemühte ich mich, wenigstens einige Pfade langsam im Tal zu gehen, was aber die Möglichkeit zum theologischen Wachstum für die Zukunft öffnete. Ohne nur einen Hauch von Überheblichkeit oder den kleinsten Anspruch auf Gelehrtheit, gab der Vater von seinem Verständnis, seinem Erleben, seinem Leben, seiner Erfahrung an uns weiter...Weil der Vater den innerlichen Sturm, mit dem ich oft zum Kloster kam und ihn aufzusuchte, erkannte, half er mir zur Heilung, indem er [meine innerlichen Erlebnisse*] entdramatisierte, vereinfachte, und mir Vertrauen einflößte. Jetzt, da ich das Studium der Theologie abgeschlossen habe, verstehe ich wieviel ich Vater Ghelasies Gegenwart brauchte: seine Art, Suchen und Erfahrung mitzuteilen, hatte nichts zu tun mit der prätenziösen Weise, mit der uns das theologische Wissen heute oft vermittelt wird, als eine Wissenschaft, wo alles in Abteile eingeteilt und schon geklärt ist. Er kam dir wie ein Forscher entgegen, er lud dich ein, mit ihm zusammen das Ergründen und Hervorheben zu genießen, das du brauchtest auf deinem Weg und das von jemandem kam, der dir mit Verständnis und Sachkenntnis Ratschläge gab, der deine Wirklichkeit verstand...Die Gespräche mit ihm verringerten niemals den mystischen Schauer, den ich spürte bei der Ergründung der theologischen Wirklichkeiten, im Gegenteil, es kam dabei zur Erweiterung des Horizontes und zum Gefühl der unerschöpflichen Tiefe und des unbregrenzten Mysteriums. Und es war, als ob er uns von dem, was indes im liturgischen Laboratorium studiert wurde, mitteilte...
Mit innerlicher Freude fühlte ich, dass mich Vater Ghelasie zu der vom Einsiedler Neofit beschriebenen Wirklichkeit, leitete; Neofit, dessen geistlicher Nachfolger er war, hatte nämlich die Verbreitung des Werkes des Herzens in Christus, nicht nur in den Höhlen und Spalten der Erde, sondern auch unter den jungen Menschen in den großen Städten prophezeit. Diese jungen Menschen, so wie ich einer war, entdeckten, zu ihrer existentiellen Überraschung, die in der Tiefe des Herzens befindliche Freiheit, dort wo nur Unerfülltheit geherrscht hatte. Dieses Werk des Herzens, das der Vater natürlich, durch seine Art zu sein, ansteckend und geheimnisvoll, ausstrahlte, spürte ich, ist es, was den Menschen zu Tieferem, zur Wiederherstellung, zur Auferstehung führt. Die Zwiegespräche mit ihm riefen eine Begeisterung des Suchens hervor, die Einladung, in diesem Laboratorium des Werdens in Christus, wo jeder seine Einzigartigkeit und erhaltene Gabe zum Ausdruck bringt, zu forschen.
Vater Ghelasie weckte die geheime Sehnsucht, die Sehnsucht nach der Mystik, nach dem Wahren in uns...er weckte sie vor allem durch seine Art zu sein, forschend, leidenschaftlich, mit seinem ganzen Wesen engagiert, Asket, aus Liebe belehrend und voller Mitgefühl und heilendem Verständnis für die oft verborgene Weise, in welcher die Menschen sich Wunden zufügten und sogar Gefallen daran fanden, in diesen vielfältigen Wunden zu verharren. Der Vater empfing uns, die aus der Stadt kamen, in einer Weise, die Respekt vor unserem Vorgehen, unseren Studien hatte, aber uns gleichzeitig aus der Selbstgenugtuung zog, die uns in Sklaven unseres Studiums verwandelt hätte. Die Studien waren nur Mittel zum Dialog mit dem heutigen Menschen, aber ihr Rückgrat war das authentische Leben in Christus.
Das Verständnis, dass die Theologie das Leben mit dem ganzen Wesen bedeutet. Die Theologie ”lebt” man, sie braucht Gesten, sie braucht Handlungen, sie braucht, dass wir uns mit unserem ganzen Wesen und nicht nur mit Teilen von uns, engagieren – und das durch eine Dynamik, die Vater Ghelasie ” die Anbetungsgeste” nannte, die den großen Unterschied ausmacht zwischen der menschlichen, waagerechten Konstruktion und dem senkrechten Wirken der Menschen, das auf der von Gott gegebenen Vertikale geschieht. Er spornte uns an, die Wirklichkeit ununterbrochen liturgisch zu gestalten, unermüdlich alles, was auf uns zukommt, Gott darzubringen; er spornte uns an zu einer Geste des Segnens und der Heiligung von allem, das wir erleben, dass wir all das unaufhörlich und vertrauend Gott überlassen.
Das Verständnis, dass die Theologie eine Sprache braucht um sich auszudrücken, die deren Tiefe zu tragen vermag, eine eigene Sprache. Die Theologie, die aus dem Mysterium der Anbetung Gottes durch den Menschen entspringt, verlangt sich auszudrücken. Für Vater Ghelasie war es klar, dass die gewöhnliche, ”profane” Sprache uns verrät, als eine Sprache, die der geheimen Wirklichkeit, die nach einem Ausdruck verlangt, nicht gerecht wird, eine Sprache, die die Wirklichkeit der Theologie eher zu profanieren riskiert. Der Vater pflegte, uns mit seinen großen oder durch Fettdruck hervorgehobenen Buchstaben zu überraschen...es war ein Versuch, die Sprache wieder zu heiligen, sie in ein anderes semantisches Register hinüberzuleiten. Der Vater hatte erkannt, dass unsere Wiederkehr zum Mysterium, zur Geste der Anbetung, zum evangelischen Lebendigen nicht durch die gewöhnliche Sprache ausgedrückt werden kann, dass wir eine andere Art zu sprechen brauchen.
Das Verständnis, dass das theologische Erleben der heutigen Wirklichkeit entgegenkommen muss. Der Mut des Vaters, der eine Stellung einnahm, die so verschieden von der lauwarmen Einstellung derer war, die vor jeder Diskussion um die Glaubenswahrheiten fliehen, bewirkte, dass er insbesondere den Mystiksuchenden in allen mystischen Ausdrucksformen in einem lebendigen Dialog begegnete. Für diese war der Vater ein wahrer Gesprächspartner: er enthüllte die Unzulänglichkeit der verschiedenen Wege, auf eine ruhige, engagierte, verständnisvolle Weise, in einem apologetischen Werk, das mit Sicherheit von der Größe der christlichen Zeugnisse der ersten Jahrhunderte war, als das Christentum mit Sicherheit nicht (falsch)triumphal erlebt, sondern oft märtyrerisch gelebt wurde. Er schlug ”Öffnungen” vor, die eben den Verständniskoordinaten des Gesprächsspartners entsprachen, und lud ihn ein, ihn mit dem Parfüm der eigenen Entdeckung anziehend, in ”das Tiefere”, das die christliche Mystik war.
”Wir erfinden nicht eine andere Sprache”, erklärte Vater Ghelasie denen, die ihn einer Jagd nach ”dem noch nicht dagewesenem” auf dem theologischen Gebiet hätten beschuldigen können, ”sondern wir versuchen ´eine Wechselbeziehung der rein philokalischen Sprache`mit der allgemeinen Sprache, sowohl der der Philosophie, als auch jeder nichtchristlichen Mystik zu bewirken. Für uns, die heutigen Menschen, genügt nicht eine einzige Sprache; ob wir wollen oder nicht, wir müssen´vielsprachig´ sein.” Mit anderen Worten, der Christ hat die Freiheit zu problematisieren,aber die Probleme müssen eben in den Kontext gestellt werden, um der heutigen Welt gutes Zeugnis sein zu können. Das Suchen der Merkzeichen, das Suchen dieser Antworten bedarf intensiver Bemühungen, einer Dimension des Untersuchens, der Arbeit in einem Laboratorium, die dem heutigen Menschen entgegenkommen, die ihm im Rahmen seiner Verständniskoordinaten angeboten werden, in seiner ”Sprache”, die oft der liturgischen und sakramentalen Sprache entfremdet worden ist. Diese "Übersetzungsarbeit" stellt eine Notwendigkeit für unsere Zeit dar.
Das Verständnis, dass der Hesychasmus die spezifische Mystik der Orthodoxie ist. Sie ist zugänglich, wo immer der getaufte Mensch seinen Altar des Herzens in der liturgischen, spezifisch christlichen Weise entdeckt, eine Entdeckung, die die Ausübung der inneren Anbetung Christi, im Geist des Betens, voraussetzt. Die hesychastische Mystik, von Vater Ghelasie als ”die Logik der Christlichen Sprache”, die Logik der Sprache -des in der Schöpfung inkarnierten Logos, genannt wird, ist für jeden zugänglich, der Christus in einer Geste der inneren Anbetung und des Stillwerdens aus der vielfältigen Zerstreung sucht. Deshalb lud er jeden mystiksuchenden Menschen ein, das spezifisch Christliche zu entdecken. In diesem Zusammenhang, sprach der Vater über das Erleben des ”Ikonischen”, das in seiner Theologie im Erleben des Mysteriums der Ikone, in allem, was wir sind und tun, atmen und leben, zu finden ist. Als Gottes Abbild, entreißt sich der Mensch der Schande der karikaturartigen Entstellung des göttlichen Antlitzes, das er in sich [als Abbild*] trägt und somit entdeckt er die Würde des Lebens in Übereinstimmung mit Dem, Der unser Wesen noch von der Zeit unseres Erschaffens her göttlich prägt.
Anstatt eines Abschlusses
Vater Ghelasie war für mich einer der Menschen, die man unbedingt treffen muss. Er hat in mir das tiefe Verlangen genährt, dass auch ich ein Forscher der Wirklichkeiten werde, die Gott im Verborgenen denen, die Ihn im Bild des Lebens der Kirche suchen, mitteilt. ”Das Sein” des Vaters war mir ein lebendiges Zeugnis auf dem Weg der Entdeckung Dessen, Der ewig ist.
Vater Răzvan Ionescu,
Paris
*Übersetzerin
Übersetzung aus dem Rumänischen von Monica Lassarén.
Der rumänische Originaltext findet sich hier:
http://ghelasiegheorghe.blogspot.com/2010/10/parintele-razvan-ionescu-paris-vorbitor.html